Synthetisches
Cino der Malerei
Raoul Hausmann
Die abgeleitete Konvention
stütze, wer es will: zunächst ercheint uns das Leben komplett ein ungeheurer
Lärm, Spannung in Zusammenbrüchen nie eindeutig gerichteter Expressionenen,
ein (wenn auch) belangvolles Anschwellen tiefer Belanglosigkeiten zu Gestalt
ohne ethische Saltos auf schmaler Grundlage: l'art dada ist der Stand außer
den Konflikten protesthafter Schöpferanmaßung, Kunst, die beziehungslose
Lüge einer (quasi) inneren Notwendigkeit bis zum Klamauk aufzeigend. Kunst
hat niemals einen tieferen Sinn als den Unsinn feierlich genommener Selbstbespiegelung
reiner Toren mit Einspielen tragischer Komplexverschränkungen. Der Maler
malt, wie der Ochs brüllt - diese feierliche Unverfrorenheit festgefahrener
Markeure, mit Tiefsinn vermengt, ergab wichtige Jagdreviere besonders deutscher
Kunsthistoriker. Die weggeworfene Puppe des Kindes oder ein bunter Lappen
sind notwendigere Expressionen als die irgendeines Esels, der sich in Ölfarbe
ewig in eine endliche gute Stube verpflanzen lassen will. Die unklar verschlungenen
Komplexauflösungen der inneren Notwendigkeit als einer ethischen Entschuldigung,
auf Leinwand projiziert - ein primitiver Versuch psychopysischer Gesundbeterei,
wie Psychoanalyse, sind objektive Medizin, statt subjektiver Balancierfähigkeit
in Widersprüchen zusammenbruchloser Auflösungen, deren wichtigste bleibt:
Sexualität. Alle Äußerungen sind sexuell - die ungeheuersten Differenzierungen,
scheinbare Degeneration, zeigen auch noch den Schwindel, der mit Kunst getrieben
wird, als eine Verlügung mangelnden Erlebens in ethische Selbstfluchtpositionen.
Der Expressionismus, als von hier aus immer noch eindeutig erscheinend,
wird nur dem Tier als dem sich komplexmäßig und funktionell in diesen Selbstbeziehungen
vollkommen Erlebenden, Auslebenden zugebilligt werden dürfen. Mensch ist
simultan, Ungeheuer von Eigen und Fremd, jetzt, vorher, nachher und zugleich
- platzender Buffalo-Bill von Apachenromantik grenzenlosester Realität des
fortwährend widersprüchigste Komplexe umfassenden Erlebens, Beziehungen.
In Form von Kinderschuhen als Telepathie, Theosophie, Okkultismus, Suggestion,
Magnetismus, Schreck vor Verbrechen, Sicherung in Tradition, gegen grenzauflösende
Fähigkeit der Blutschande, der Homosexualität, der Polygamie und Polyandrie,
der inneren Notwendigkeit der Kunst und so weiterer Komplexeinschränkungen
erlebt der Mensch keimhaft, schamvoll, aus der Not der Verdrängungen eine
Tugend herausholend, schone heute, wie unbewußte Versuche - Weltkrieg oder
l'art pour l'art - beweisen, die ungeheure Möglichkeit der Aufgeschlossenheit
seiner sexual-phychischen Erlebnisfäigkeit, die der ethischen Sprünge irgendwelcher
Kunst nicht mehr bedarf. Versuche einer Steigerung der Sinnesorgane durch
Wissenschaft und Kunst, die dennoch bloße Auflösungsgeste, Aggressionsumkehrung,
gegen den Menschen gerichtet, bleiben - wo die Kunst noch voraus vor der
der Wissenschaft eine bewußte Unmoral, Unobjektivität behält und als Haben
buchen kann. Kubismus, Futurismus, Ausdrucksmaterial visueller Intellektualität
mit der großen Geste des Durchbruchs des Erlebens in die vierte Dimension,
bleiben Versuche zu einer Komplexerweiterung der Wahrnehmung optischer Chemotropismen.
Im orphischen Kubismus und Futurismus sind vielleicht die spontansten Erkenntnisse
weit über okkultistische Od-Lehren hinaus gemacht worden - beinahe Naturalismus
unserer bislang erst innerst funktionierenden simultanen Kontrastverschlungenheit.
Der Expressionismus, Symbolik dieser Triebumkehrung - innerer Notwendigkeit
- immer mehr in ästhetischer Weltüberwindung versinkend, ist heute ein einrubrizierter
Begriff. Lebensnotwendigkeit gleich Kohlenkarte oder Schleichehandel für
Leute weit vom Schuß, dem Zwang sum Sein. Das Material des expressionistischen
Malers endigend in einer beinahe astralen Blödigkeit der Farb- und Linienwerte
zur Ausdeutung sogennanter seelischer Klänge - wo noch nicht einmal der
Rhythmus zulangt, abgehackt ausfallend lassen, außer allem beziehungsweisen
Erleben stehend als ästhetische Romantik. Kubistischer Orphismus, Futurismus,
die ihre Mittel, Farbe auf Leinwand, dann Pappe, künstliche Haare, Holz,
Papier in wirkliche Durchdringungsbeziehung zu bringen vermochten, wurden
zuletzt von ihrer eigenen wissenschaftlichen Objektivität gehemmt. L'Art
Dada wird ihnen eine ungeheure Erfrischunng, einen Anstoß zum wirklichen
Erleben aller Beziehungen bieten. Dada: das ist die vollendete gütige Bosheit,
neben der exakten Photographie die einzig berechtigte bildliche Mitteilungsform
und Balance im gemeinsamen Erleben - jeder, der in sich seine eigenste Tendenz
zur Erlösung bringt, ist Dadaist. In Dada werden Sie Ihren wirklichen Zustand
erkennen: wunderbare Konstellationen in wirklichen Material, Draht, Glas,
Pappe, Stoff, organisch entsprechend Ihrer eigenen, geradezu vollendeten
Brüchigkeit, Ausgebeultheit: Nur hier gibt es erstmals keinerlei Verdrängungen,
Angstobstinationen, wir sind weit entfernt von der Symbolik, dem Totemismus;
elektrisches Klavier, Gasangriffe, hergestellte Beziehungen, Brüllende in
Lazaretten, denen wir erst durch unsere wunderbaren widerspruchsvollen Organismen
zu irgendeiner Berechtigung, drehender Mittelachse, Grund zum Stehen oder
Fallen verhelfen. Durch die Vorzüglichkeit der Schlagkraft unserer Materialvrewertung
als letzter Kunst einer in Bewegung begriffenen, fortschreitenden Selbstdarstellung
mit Aufgeben der traditionellen Sicherungen der umgebenden Umherstehenden,
als einverleibter Atmosphäre. |