Erste Dadarede
in Deutschland
Richard
Huelsenbeck - gehalten von R. Huelsenbeck im Februar 1918 (Saal der Neuen
Sezession)
Meine Damen und Herren! Der heutige Abend ist als Sympathiekundgebung für
den Dadaismus gedacht, eine neue internationale "kunstrichtung", die vor
zwei Jahren in Zürich gegründet wurde. Unter den Initiatoren dieser schönen
Sache waren Hugo Ball, Emmi Hennings, der Maler Slodki, die Rumänen Marcel
Janco und Tristan Tzara, zu guter letzt ich selbst, der ich heute die Ehre
habe, an dieser Stelle für meine alten Kamaraden und unsere alten-neuen
Ansichten Propaganda zu machen. Hugo Ball, ein großer Künstler und größerer
Mensch, ein gänzlich unsnobistischer, unliterarischer Mensch, gründete 1916
in Zürich das Cabaret Voltaire, aus dem sich mit unserer Hilfe der Dadaismus
entwickelte. Der Dadaismus war notgedrungen ein internationales Produkt.
Man mußte etwas Gemeinsames zwischen den Russen, Rumänen, Schweizern und
Deutschen finden. Es gab einen Hexensabbath, wie Sie ihn sich nicht vorzustellen
vermögen, ein Trara von morgens bis abends, ein Taumel mit Pauken und Negertrommeln,
eine Ekstase mit Steps und kubistischen Tänzen. Die Rumänen kamen von Frankreich,
liebten Apollinaire, Max Jacob, wußten viel von Barzun, Poème et Drame und
den Kubisten. Aus Italien schrieb Marinetti, Palazeschi, Savignio. Wir Deutschen
standen ziemlich harmlos da. Ball war tatsächlich der einzige, der die Probleme
der futuristischen und kubistischen Richtungen in sich aufgenommen und verarbeitet
hatte. Vielleicht befinden sich einige unter Ihnen, die ihn im Jahre 1915
hier in Berlin auf dem Expressionisten-Abend reden hörten, den ich mit ihm
veranstalten konnte. Das sind in der Tat die expressionistischsten Gedichte
gewesen, die Deutschland jemals gehört hat. Ball brachte seinen "bellenden
Hund" mit in die Schweiz, ein Phantasma von einer Stärke, daß kleine Leutchen
wie Korrodie und Rubiner noch heute darunter leiden. Das Cabaret Voltaire
war unsere Versuchsbühne, wo wir tastend unsere Gemeinsamkeiten zu verstehen
suchten. Wir machten zusammen einen wunderschönen Negergesang mit Klappern,
Holzklöppeln und vielen primativen Instrumenten. Ich gab den Vorsänger,
eine fast mythische Gestalt. Trabaja, Trabaja la mojere --- mit vielem Schmalz.
Die Kunstgewerbler von ganz Zürich begannen einen geschlossenen Feldzug
gegen uns. Das war das Schönste: jetzt wußten wir, mit wem wir es zu tun
hatten. Wir waren gegen die Pazifisten, weil der Krieg uns die Möglichkeit
gegeben hatte, überhaupt in unserer ganzen Gloria zu existieren. Und damals
waren die Pazifisten noch anständiger wie heute, wo jeder dumme Junge mit
seinen Büchern gegen die Zeit die Konjunktur ausnützen will. Wir waren für
den Krieg, und der Dadaismus ist heute noch für den Krieg. Die Dinge müssen
sich stoßen: es geht noch lange nicht grausam genug zu. Im Cabaret Voltaire
versuchten wir zuerst unsere kubistischen Tänze mit Masken von Janco, selbstgefertigen
Kostümen aus bunter Pappe und Flitter. Tristan Tzara, der heute die dadaistischen
Hefte in Zürich herausgibt, erfand die Darstellung des poème simultan für
die Bühne, ein Gedicht, das in verschiedenen Sprachen, Rhythmen, Tönen zugleich
von mehreren Personen vorgetragen wird. Ich erfand das concert des voyelles
und das poème bruitiste, eine Mischung aus Gedicht und bruitistischer Musik,
wie sie durch die Futuristen mit dem rèveil de la capitale berühmt geworden
ist. Die Erfindungen regneten, Tzara erfand das poème statique, eine Art
optisches Gedicht, auf das man sieht wie auf einen Wald, ich selbst initiierte
das poème mouvementiste, Vortrag mit primitiven Bewegungen, wie er bis jetzt
in dieser Weise noch nicht gemacht worden ist. Meine Herrschaften - so entstand
der Dadaismus, ein Brennpunkt internationaler Energien. Den Kubismus hatten
wir satt, das nur Abstrakte begann uns zu langweilen. Man kommt von selbst
zum Realen, sobald man sich rührt und ein lebendiger Mensch ist. Der Futurismus,
wie er existierte, war eine ausschließlich italienische Angelegenheit, ein
Kampf gegen die fürchterliche Antike mit ihrem aalglatten Geschäftskönnen,
die dort jedes Talent zu Boden schlägt. Der Futurismus, der hier in Deutschland,
wo wir in allen Dingen die Ehre haben, die Letzten zu sein, noch bis vor
kurzem von krassen Ignoranten und Hohlköpfen als Hokuspokus verachtet worden
ist, weil seine Verse schlecht oder unverständlich waren, dieser Futurismus,
meine Herrschaften, war ein Kampf gegen die Apollostatue, gegen die Cantilene
und den bel canto - aber was hatten wir Dadaisten damit zu tun? Weder etwas
mt dem Futurismus noch etwas mit dem Kubismus. Wir waren etwas Neues, wir
waren die Dadas, Ball-Dada, Huelsenbeck-Dada, Tzara-Dada. Dada ist ein Wort,
das in allen Sprachenexistiert - es drückt nichts weiter aus als die Internationalität
der Bewegung, mit dem kindlichen Stammeln, auf das man es zurückführen wollte,
hat es nichts zu tun. Was ist nun der Dadaismus, für den ich heute abend
hier eintreten will? Er will die Fronde der großen internationalen Kunstbewegungen
sein. Er ist die Überleitung zu der neuen Freude an den realen Dingen. Da
sind Kerle, die sich mit dem Leben herumgeschlagen haben, da sind Typen,
Menschen mit Schicksalen und der Fähigkeit zu erleben. Menschen mit geschärftem
Intellekt, die verstehen, daß sie an eine Wende der Zeit gestellt sind.
Es ist nur ein Schritt bis zur Politik. Morgen Minister oder Märyrer in
der Schlüsselburg. Der Dadaismus ist etwas, was die Elemente des Futurismus
oder der kubistischen Theoreme in sich überwunden hat. Er muß etwas Neues
sein, denn er steht an der Spitze der Entwicklung, und die Zeit ändert sich
mit den Menschen, die fähig sind, verändert zu werden. "Die phantastischen
Gebete", aus denen ich Ihnen nachher einiges vortragen werde, sind im Dada-Verlage
erschienen und tragen, wie ich hoffe, das Kolorit dieser Bewegung. |